BRASILIEN: ALLES AUS EINER HAND KAFFEEREISE JUNI 2024

2024Eines Tages, im Sommer 2023, trudelte ein schönes weißes Paket in einem unserer Cafés ein. Darauf stand bloß: OCAFI. Was war drin? Natürlich Kaffeeproben! OCAFI ist ein interessantes Modell des Wirtschaftens. Es handelt sich hier weder um einen Kaffeeproduzenten, einen Verarbeiter, einen Importeur noch einen Kaffeehändler: OCAFI ist alles in einem. OCAFI bildet die gesamte Lieferkette von der Plantage bis zur Vermarktung in Brasilien, den USA oder Europa ab, betreibt eigene Büros in Sao Paolo, New York und Berlin und ist somit auch vor Ort ansprechbar.

Brasilien ist in der Kaffeewelt für viele ein Begriff für agrarische Massenproduktion und im Tassenprofil vor allem für eines: unaufgeregt, schokoladig, wenig Säure. Wir waren auf unserer Reise bei den Gründern Luis und Niklas und deren Agraringenieur Fante auf der Fazenda Pinheiro (São José do Rio Pardo, Mogiana Region, Bundesstaat Sao Paulo) zu Gast. Beide sind um die 30 Jahre alt und wollen den Kaffee in Brasilien weiterentwickeln. „Schoko-Haselnuss“ ist immer fein als Tassenprofil, aber beide sind überzeugt, das Profil und die Anbauweise müssen weiterentwickelt werden. Und das machen sie in vielerlei Hinsicht: Neben dem klassischen Profil, haben sie weitere Varietäten aus höheren und kühleren Anbaulagen. Diese Varietäten erzeugen komplexere Aromen wie man es aus Brasilien sonst nicht gewöhnt ist. Darüber hinaus haben sie sauberen, nussigen Robusta der Varietät Conillon. Besonders interessant ist das Bündel an Maßnahmen, welche sie im Zuge des Klimawandels ergriffen haben: Regenzisternen, unterirdi-sche Tröpfchenbewässerung, Ansätze der Schattenbaumbewirt-schaftung und Schaffung von Biodiversitätsstreifen und -zonen. Bei unserer Ankunft Anfang Juni war die Ernte schon in vollem Gange. Der „Post-Harvest-Prozess“, also die Phase nach der Ernte, läuft wie ein Schweizer Uhrwerk. Da hier – so wie auch in anderen großen Teilen Brasiliens – maschinell geerntet wird, ist der Aussortierungs- und Trocknungsprozess entscheidend. Bevor die Kirschen mit der Erntemaschine abgeerntet werden, wird mit einem Messgerät bestimmt, wie leicht die reifen Kirschen sich von den Stängeln lösen. Mit den generierten Messdaten wird die Stärke und Frequenz der Ernte-„Greifer“ an der Maschine eingestellt. Der Ernteprozess gleicht dann in etwa einer fahrenden Waschstraße, durch dessen Mitte die Kaffeesträucher gezogen werden. Sind die Kirschen einmal geerntet, muss es schnell gehen, um die Bohnen in eine trockene, lagerfähige Form zu bringen. Vor allem müssen Verderbsprozesse verhindert und die Qualität der Bohne bewahrt werden.

Zwei Methoden sind in Brasilien vorherrschend: Natural und Pulped-Natural. In den meisten Fällen werden alle zwei Methoden zur selben Zeit angewandt. Das hat folgenden Grund: Die Kaffeekirschen reifen an den Sträuchern in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Da nur begrenzt Platz auf den Trocknungsflächen ist, muss mit der Ernte ab einem gewissen Zeitpunkt angefangen werden, obwohl noch viele unreife Kirschen an den Sträuchern hängen. Trotz der genauen Erntemethode kommen also viele verschieden Reifegrade zu den Verarbeitungsstationen. Hier werden die gesamten Kirschen in einer Wasserstromanlage gereinigt und die Naturals, also die sehr reifen, schon leicht angetrockneten Kirschen, werden vom Rest getrennt. In der Folge werden diese auf geeigneten Betonflächen einige Tage vorgetrocknet, um dann mit speziellen Trommeltrockneranlagen auf die Zielfeuchtigkeit von 11,5% eingestellt zu werden. Die Geschwindigkeit der Trocknung ist hier essenziell: Werden die Bohnen zu schnell getrocknet, wird die Zellstruktur zerstört und der Zellorganismus stirbt ab – solche Kaffeebohnen altern sehr schnell und verlieren ihre Charakteristik und Qualität in der Tasse. Trocknet man die Bohnen hingegen zu langsam, können Mikroorganismen sogenannte Off-Flavors generieren. Die Verantwortung für eine Trocknungsanlage ist also sehr groß. Die unterschiedlichen Post-Harvest-Methoden ergeben auch unterschiedliche Charakteristika in der Tasse: Naturals eher vollmundigere und süße Tassen, während Pulped Naturals im Vergleich etwas schlankere Tassenprofile mit höherer Sauberkeit / Klarheit aufweisen.Wer diese Maschinerie, die Hände, den Schweiß und die Köpfe dahinter miterleben durfte, kann nachvollziehen, welche Schönheit saubere und vollmundige Kaffee-Extrakte in den Tassen besitzen.

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